Die CD-ROM
Von Christian Ziegler [text in German]

"Nützt es einem Choreographen, in den Probne digitale Medien einzusetzen" William Forsythe, auf dessen Initiative die CD-ROM "Improvisation Technologies" zurückgeht, sprach zu Anfang des Gemeinschaftsprojektes von Ballett Frankfurt und dem ZKM Karlsruhe (Zentrum für Kunst und Medientechnologie) lakonisch von einem "Timesaver", einem "Zeitsparer". Für uns Designer und Programmierer klang das zuerst recht abwertend. Erst nach und nach stellten wir fest, wie wichtig es William Forsythe wirklich ist, Zeit zu sparen, um sich auf die eigentliche Aufgabe des Choreographieres konzentrieren zu können.

Jeder neue Tänzer des Ballett Frankfurt braucht viel Zeit, die spezifischen Techniken zu erlernen. Wenn bei Proben neue Stücke erarbeitet werden, kann sich dem neue Tänzer der Kosmos der gruppenspezifischen Begriffe und Techniken zunächste nur fragmentarisch erschliessen. Eine systematische Referenz der Codes und Verabredungen der Kompagnie gab es bisher nicht. Ein "Timesaver" in Form eines digitalen Lexikons lag also nahe.

Zunächst diskutierten wir das Projekt einer CD-ROM für das Ballett Frankfurt nur auf der Ebene eines digitalen Archivs, als eine Datenbank. Unser Ehrgeiz bestand schnell darin, einem solchen Lexikon der Tanztechniken Forsythes auch im optischen Design ein eigenes Gesicht zu geben. Unser Ziel war es, die Produktion einer Frankfurter Ballettschule als digitales Instrument ganz den Bedürfnissen der Tänzer anzupassen.

Wir wollten den Ballettänzern mit Hilfe von Nik Haffner, der als Tänzer des Balletts die digitale Tanzschule redaktionell betreute, eine einfache und übersichtliche Bildschirmoberfläche bieten. Wir begannen mit dem Stück "Self Meant To Govern". Auf dem Bildschirm sieht man zuerst die sechs Tänzerinnen (in der Mitte der Musiker) wie Planeten um eine zentrale Uhr schweben. Die Uhr zeigt Buchstaben statt Zahlen. Jeder Körper steht stellvertretend für ein bestimmtest Thema der Tanzschule. Das Layout des Bildschirms folgt dem Bedürfnis von Tänzern, eine Bewegung im Kons Raumes und nicht nur flach auf dem Bildschirm zu erleben. An den Ecken des Bildschirms sind stets die Buchstaben "t" (für Theory), "e" (für Example), "r" (für Rehearsal) und "p" (für Performance) zu sehen, um die Orientierung jederzeit so einfach wie möglich zu halten. Von der "Theory", in der in der Regel William Forsythe selbst eine Einführung in die Bewegung per Video zeigt, gelangt man über die Felder "Example" zu vergleichenden Studien aus der Performance ("p") und den Proben ("r").

Ein Beispiel, wie der Anwender sich durch die CD-ROM bewegt, ist die "Point-to-Point-Linie" als Teil von Forsythe Bewegungsgrammatik aus Punkt, Linie und Fläche. Während er eine Bewegungsgrammatik demonstriert, von Punkt zu Punkt, legten wir über diese Bewegung eine weisse Linie ("Layer"), um die Präzisieon dieser Bewegung zu verdeutlichen, die in den Ausschnitten aus den Proben- und Bühnenaufnahmen nicht so direkt ins Auge springen kann. Veranschaulicht werden Begriffe, die im tägliche Probenprozess zum Vokabular der Kompagnie gehören. Wenn forsythe von "Dropping Curves" spricht, erfährt der Tänzer spätestens auf der im Ballettsaal stehenden CD-ROM, wie hierbei die Schwerkraft den Körper in einer exakten "Punkt-Linienführung" zu Boden zwingt. Der Handballen liegt auf einer von uns animierten weissen Linien, die in einer Schwerkraftkurve zu Boden fährt. Die Anschauung einer Ballettbewegung dabei nicht nur auf der Bühne zu zeigen, war Absicht, als wir die Videodokumente von Probenprozessen in die Kapitel "Rehearsal" mit aufnahmen: Bewegung ist keine finale Form, sondern entwickelt sich aus dem Tänzer selbst heraus. So konnten wir zeigen, dass sie sich in der Zeit bis zur Aufführung auch ändern kann und wird.

Im Abschnitt "Performance" ist die geamte Premiere von "Self Meant To Govern" vom 2. Juli 1994 aus vier verschiedenen Kamerperspektiven aufgezeichnet worden und nun interaktive zugänglich, das heisst, der Blickwinkel auf die Performance ist frei wählbar, die Anwender können sich jederzeit ihre Perspektive auf die Bühne frei wählen. Gleichzeitig ist dieser Ballettabend direkt mit dem Lexikon verknüpft: Also kann auch umgekehrt von der Premierenaufnahme aus in die "Expamples" gesprungen werden.

Solche Möglichkeiten sind auch ein Ausgangpunkt dafür, die digitale Tanzschule weiterzuentwickeln: Wenn wir es schaffen könnten, ein ständiges Protokollinstrument im Probensaal des Balletts zu installieren, wäre die Tanzschule nicht nur "Timesaver" oder digitales Lexikon. Bewegungssequenzen könnten aufgezeichnet und, einmal in die Datenbank eingetragen, immer wieder zurückverfolgt werden, um sie weiterzuentwickeln: Dann wäre "Improvisation Technologies" nicht nur ein Schulungsinstrument, sondern zugleich auch so etwas wie das elektronische Gedächtnis des Ballett Frankfurt."