Das Auge des Tanzinteressierten sollte und konnte »trainiert« werden. In über 100 Kurzvorträgen führt Bill Forsythe in seine Technik der »Improvisation Technologies« ein. Vergleichend dazu werden Beispiele aus den Proben angeboten. Die CD-ROM ist so gestaltet, dass der interaktive Vergleich von Theorie und Praxis möglich ist.
Die langjährige Arbeit an der 1999 eröffneten Tanzschule des Frankfurt Balletts machte mir früh klar, dass Tanz eine hochkomplexe Zeitkunst ist, die Verbindungen zu vielen Bereichen der Kunst, der Architektur und der Bildenden Kunst sucht. Tänzer arbeiten mit Informationen über die Anatomie ihres Körpers und mit Assoziationen zu allen möglichen Themen. Es ist daher manchmal schwierig für den Zuschauer, über eine rein subjektive persönliche Interpretation des Gesehenen hinaus, sich ein »objektiveres« Bild zu machen. Wenn man einen Dialog schaffen will, brauchen Künstler und Zuchauer aber einen Kontext. Multimediale Hilfsmittel können einen solchen herstellen; und sie können im Tanz somit eine wichtige Rolle spielen.
Über digitale Hilfsmittel zur Probenvorbereitung wollte ich weiter kommen in Richtung Probenarbeit und Bühne. Bereits am Ende der Arbeit an der digitalen Tanzschule dachten wir mit dem Ballett Frankfurt über eine Erweiterung der Applikation nach.
Mit Scott deLaHunta, Projekt Koordinator von »Software for Dancers« traf ich einen Wissenschaftler, der u.a. am Londoner Laban Institut in ähnliche Richtung forschte: »Software for
Dancers: tools to support the choreographic process [phase one]« was a London-based action research project organised as a collaboration between Writing Research Associates, the Arts Council of England's Dance Department, Sadler's Wells Theatre and Random Dance Company. It aimed to develop concepts for new software tool(s) to support and augment the choreographer's creative process and to use this focus to provide the stimulus to reflect critically on the: (1) recognition and transformation of materials and methods in the process of art making, whether computational or choreographic; (2) conditions for collaborations between choreographers and digital artists/programmers.«
Im Laufe dieses mehrwöchigen Projektes ging unsere Softwareentwicklung natürlich nie über die Stufe von Prototypen hinaus und simulierte vor allem Funktionsabläufe einer möglichen Anwendung in der Probe. Immerhin haben Tänzer, Choreografen und Wissenschaftler gemeinsam Fragestellungen erarbeitet, die die Verbindung von Tanz und Neuen Medien voran brachten.
Weitere Workshops wie »Cellbytes« und »Swipt« fanden im Jahre 2000/2001 an der Arizona State University, USA statt als Forstsetzung der »IDAT« (International Dance and Technoloy) Konferenz. Es ging nun vor allem um das Ausprobieren von möglichen Setups und darum, den theoretischen Modellrahmen einer Konferenz zu verlassen. Wir verbanden räumlich getrennte Bühnenräume über das Internet, öffneten Kommunikationskanäle für die Zuschauer, die Fragen zum Tanz artikulierten. Daneben stellte das Institute for Studies in the Arts ihre »Intelligent Stage« zur Verfügung, in der wir mit traditionellen Bühnentechnologien und neuen Technologien wie Video gestütztes Tracking und Motionsensing, Sensoren, Videoprojektion und neueste Raumklangtechnologien ausprobieren konnten.
Meine erste eigene Arbeit auf der Bühne entwickelte sich direkt aus der Arbeit in diesen Workshops. Gemeinsam mit Jayachandran Palazhy, Choreograph aus Bangalore/London und Todd Ingalls, Komponist und Programmier an der Arizona State University, begannen wir die Arbeit an »scanned V«, das Ende 2001 in München zum Spielart Festival aufgeführt wurde. Es gewann den Preis »Junge Kunst und Neue Medien«.
»Scanned I-V« ist, wie die Nummernfolge am Ende des Titels verrät, eine Serie von zusammenhängenden Einzelarbeiten. Den Anfang bildete eine Performance im neuen Münchner »Kunstraum«, der in einer nie zu Ende gebauten U-Bahnstation an der prominenten Maximilianstrasse eröffnet wurde. »scanned I« war wie ein mediales Schattenspiel mit Tanzperformance. Ich digitalisierte Tanz in einer Probe und verarbeitete diese Videobilder live mit einer selbst geschriebenen VJ-Software. Der Tanz fand hinter der Projektionsfläche statt. »scanned II« stellte ich am Goethe Institut in Kiew mit ukrainischen Medienkünstlern beim 1. Kiew International Media Art Festival aus. Dort entwickelte ich die Software weiter zu einem Collageinstrument, das fortlaufend Bilder in eine mutierende Bildkomposition verwandelte. »scanned III« entwickelte die Dramaturgie des Stücks weiter. Ein erster Teil zeigte nun vor dem Projektionsbildschirm den Tanz, der im zweiten Teil darauf visuell verarbeitet wurde. Dort stand für mich die Auseinandersetzung von Körper und dessen Abbild im medialen System beziehungsweise die Entwicklung des »dritten Auges des Zuschauers« im Vordergrund. Für »scanned IV« entwickelte ich wieder eine Installation, die neue Echtzeittechnologien einsetzte: Kamerabilder (des Besuchers) wurden sofort zu einer Collage von Zeitereignissen verarbeitet. »scanned V« sollte die Entwicklung abschließen. Todd Ingalls ergänzte die visuelle Programmierung im ersten Teil zu einer interaktiven Synthese von Bild- und Tonerzeugung, in der ein Tänzer durch seine Bewegung alle Prozesse beeinflussen konnte. Durch den Einsatz der Software aus »scanned I/II« im letzten Teil des Stück erzielten wir einen doppelten Verarbeitungsvorgang der Ereignisse: Im ersten Teil erfolgte der Aufbau, Tanz beeinflusst Bild und Ton. Das System scannt den Tanz, der im zweiten Teil noch einmal »von außen« gescannt wird. Ein »synthetisches Auge« scannt durch vorhandenes Videomaterial, aufgenommen in den ersten Szenen des Stücks. Ich bediente die Software live. Ein »zweites Bild« des Tanzes entstand vor den Augen der Zuschauer. Medien- und Tanzperformance verbanden sich durch zwei zeitlich getrennte Vorgänge in diesem Schlussbild, das ein aus beiden Vorgängen resultierendes, aufeinander bezogenes, Gesamtergebnis zeigte. Am Ende entstand so der Tanz zweimal im Auge des Betrachters.
Das Eine ist der direkte Dialog eines digitalen Systems zum Beispiel zu einem Tänzer oder VJ- Operator. Eine ganz andere Herausforderung ist der Dialog mehrerer Systeme gleichzeitig auf der Bühne. Das wollte ich mit »turned« erreichen. Angeregt wurde ich von Recherchen zu zeitgenössischen Tanzkulturen, in denen neben klassischem, zeitgenössischem Tanz und Ballett, die Club Dance Culture und eine so genannte Arkadekultur existierten. In Japan erlebte ich eine Gruppe von Teenagern, die vor einem Arkadesalon auf großen interaktiven Spielkonsolen Tanzbewegungen übten, einer Art rasend schnellen Tanz-nach-Zahlen. Alleine oder im Duett mühten sich Tänzer, den Instruktionen für irrsinnig schnelle Schrittfolgen zu folgen, was nach Beherrschung des Systems dann von Einigen mit einer unglaublichen Virtuosität zu Improvisationen genutzt wurde.
Am ZKM Karlsruhe sah ich dann ein Musikkonzert der Gruppe »institut für feinmotorik«. 8 Plattenteller (Turntables) dienten der Gruppe zur Musikerzeugung und nicht zum Abspielen von Platten. Haushaltswaren wie Gummis, Papierstreifen, Klebefolien und andere Materialien erzeugten einen dichten Raumklang, der vielen elektronischen Sound-Experimenten nicht unähnlich klang. Ich sah in diesen faszinierenden kinetischen Sound-Skulpturen eine Möglichkeit, eine Brücke zu bauen von analoger zu digitaler Musikkultur. Ein Turntable kann als Instrument benutzt werden und funktioniert visuell als Objekt beziehungsweise als Skulptur, nebenbei zitiert er durch seine Drehung noch ein wichtiges Tanzelement – die Pirouette...


back - page 2 of 4 - more